-
14 Nov Off
Überblick: Das gilt ab 1. Januar 2017
- Ein neuer Pflegebedürftigkeitsbegriff wird eingeführt
- Es gibt ein neues Verfahren zur Feststellung von Pflegebedürftigkeit, körperliche und geistige Einschränkungen werden gleichberechtigt berücksichtigt.
- Statt drei Pflegestufen gibt es fünf Pflegegrade
- Pflegebedürftige Menschen bekommen häufig mehr Leistungen aus der Pflegeversicherung
- In der häuslichen Pflege gibt es ein größeres Leistungs-angebot und der Bedarf von Menschen mit geistigen und psychischen Erkrankungen wird besser berücksichtigt
- Die Möglichkeiten Kurzzeit- und Verhinderungspflege wahrzunehmen werden erweitert
- Die Pflegeberatung wird ausgebaut
- Entlastungsangebote für pflegende Angehörige werden erweitert
Neuer Pflegebedürftigkeitsbegriff gem. § 14 Abs. 1 SGB XI
„Pflegebedürftig im Sinne dieses Buches sind Personen, die gesundheitlich bedingte Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten aufweisen und deshalb der Hilfe durch andere bedürfen. Es muss sich um Personen handeln, die körperliche, kognitive oder psychische Beeinträchtigungen oder gesundheitlich bedingte Belastungen oder Anforderungen nicht selbständig kompensieren oder bewältigen können. Die Pflegebedürftigkeit muss auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate, und mit mindestens der in § 15 festgelegten Schwere bestehen.“
Bisher:
Hilfebedarf bei den gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens.
Zukünftig:
Beeinträchtigungen der Selbstständigkeit oder der Fähigkeiten, die nicht selbstständig kompensiert oder bewältigt werden können.
Neuerungen zum Pflegestärkungsgesetz II
Bisher: 15 Verrichtungen der Grundpflege und Hauswirtschaft:
- Körperpflege
- Ernährung
- Mobilität
- hauswirtschaftliche Versorgung
- eingeschränkte Alltagskompetenz
Zukünftig: 64 Kriterien der zu beurteilenden Lebensbereiche:
- Mobilität
- Kognitive und kommunikative Fähigkeiten
- Verhaltensweisen und psychische Problemlagen
- Selbstversorgung
- Umgang mit krankheits- und therapiebedingten Anforderungen
- Gestaltung des Alltagslebens und Soziale Kontakte
- Außerhäusliche Aktivitäten
- Haushaltsführung
Begutachtungsverfahren und Kriterien
Die Pflegebedürftigkeit wird durch ein Begutachtungsverfahren überprüft. Dabei sind sechs Kriterien (Module) entscheidend:
- Mobilität: Wie selbständig kann der Mensch sich fortbewegen und seine Körperhaltung ändern? z.B. umsetzen, Treppen steigen, fortbewegen in der Wohnung
- Kognitive und kommunikative Fähigkeiten: Erkennen von Personen, örtliche und zeitliche Orientierung, kann der Mensch selbständig Entscheidungen treffen und formulieren?
- Verhaltensweisen und psychische Problemlagen: nächtliche Unruhe, selbstschädigendes Verhalten, Abwehr flegerischer Maßnahmen, Wahnvorstellungen, verbale Aggressionen
- Selbstversorgung: wie selbständig kann sich der Mensch im Alltag selbst versorgen bei Körperpflege, beim Essen und dem Trinken. Dieses Modul umfasst auch An-/Auskleiden sowie die gesamte Ausscheidung.
- Bewältigung von und selbständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen: Selbständige Durchführung ärztlich angeordneter Maßnahmen (Behandlungspflege) wie: Medikamente selbstständig einnehmen, eigenständige Arztbesuche, Einhalten von Diätvorschriften, Injektionen, körpernahe Hilfsmittel
- Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte: wie selbständig kann der Mensch den Tagesablauf planen oder Kontakte pflegen? Z.B. Ruhen und schlafen, sich beschäftigen, sinnhaft kommunizieren.
- Außerhäusliche Aktivitäten: Es wird bewertet, wie selbständig der Mensch sich außerhalb der Wohnung fortbewegen kann, auch ÖPNV oder PKW.
- Haushaltsführung: Es wird bewertet, wie selbständig der Mensch die jeweilige Tätigkeit durchführen kann. Z.B. einkaufen, kochen, putzen, Umgang mit Geld und Behörden.
Ein Pflegetagebuch muss nicht mehr geführt werden!
In den Modulen 1, 4 und 6 geht es nicht um tatsächliche Erbringung der Leistung, es wird IMMER die Selbständigkeit bewertet – auch bei z.B. nicht vorhandenen Treppen wird trotzdem das selbständige erreichen des 2. Stockwerkes bewertet (Modul 1).
Hingegen wird in Modul 3 und 5 die Häufigkeit von Handlungen abgefragt – z.B. „Verbale Aggressionen“, nie oder selten bis täglich (Modul 3).
Modul 2 fragt das Vorhandensein von Fähigkeiten ab, z.B. können Risiken und Gefahren erkannt werden?
Was ändert sich in der ambulanten Pflege?
Künftig werden neben körperbezogenen Pflegemaßnahmen (z.B. Unterstützung beim Essen oder Waschen) und Hilfen bei der Haushaltsführung (beim Einkaufen oder Kochen helfen) auch pflegerische Betreuungsmaßnahmen (wie gemeinsame Spaziergänge) als Regelleistung der Pflegeversicherung angeboten. Der Pflegebedürftige hat die freie Wahl welche Leistungen er wünscht.
Pflegegrade statt Pflegestufen
Statt den bisherigen drei Pflegestufen gibt es ab dem 01.01.2017 fünf Pflegegrade. So sollen Art und Umfang der Leistungen der Pflege-versicherung genauer auf den individuellen Bedarf abgestimmt werden.
Die Zuordnung zu einem Pflegegrad erfolgt anhand eines Punktesystems. Dazu werden in den oben genannten sechs Lebensbereichen Punkte vergeben. Die Höhe der Punkte orientiert sich daran, wie sehr die Selbständigkeit eingeschränkt ist oder die Fähigkeiten noch vorhanden sind.
12,5 bis unter 27 Punkte
(geringe Beeinträchtigung der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten)
27 bis unter 47,5 Punkte
(erhebliche Beeinträchtigung der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten)
47,5 bis unter 70 Punkte
(schwere Beeinträchtigung der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten)
70 bis unter 90 Punkte
(schwerste Beeinträchtigung der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten)
90 bis 100 Punkte
(schwerste Beeinträchtigung der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten mit besonderen Anforderungen an die pflegerische Versorgung)
Besondere Bedarfskonstellation: automatische Zuordnung zum Pflegegrad 5 bei vollständigem Verlust der Greif-, Steh-, und Gehfunktionen.
Wie kommen Pflegebedürftige von Pflegestufen zu Pflegegraden?
Alle Pflegebedürftigen, die bereits eine Pflegestufe haben, inklusive der Pflegestufe 0, müssen sich nicht neu begutachten lassen und auch keinen Antrag für die Überleitung in einen Pflegegrad stellen – dies geschieht ganz automatisch.
Wichtig ist: Jeder, der bereits Leistungen der Pflegeversicherung erhält, bekommt diese auch zukünftig in mindestens gleicher Höhe. Niemand wird schlechter gestellt. Häufig erhalten sie sogar weitaus höhere Leistungen.
Überleitung von Pflegestufen in Pflegegrade (einfacher Stufensprung)
Pflegebedürftige ohne eingeschränkte Alltagskompetenz
Überleitung von Pflegestufen in Pflegegrade (zweifacher Stufensprung)
Pflegebedürftige mit eingeschränkter Alltagskompetenz
Für alle Stufen besteht ein lebenslanger Bestandsschutz (§140 Abs 3 SGB XI), es sei denn der Pflegegrad erhöht sich oder es liegt keine Pflegebedürftigkeit mehr vor.
Pflegesachleistungen
Pflegegeld
Voraussetzungen für Pflegegrad 1
Niedrigste Stufe der Pflegebedürftigkeit. Darunter fallen Personen, die bisher nicht die Grundbedingungen für PS 0 erfüllt haben:
- Grundpflege
- Psychosoziale Unterstützung bis 1 x täglich
- keine nächtliche Hilfe erforderlich
- Keine Präsenz tagsüber erforderlich
Leistungen für Pflegegrad 1
- Pflegeberatung §§7a und 7b
- Beratung in der Häuslichkeit gemäß § 37 Abs. 3
- Zusätzliche Leistungen für Pflegebedürftige in ambulant betreuten Wohngruppen gemäß § 38a
- Versorgung mit Pflegehilfsmitteln gemäß § 40 SGB XI
- Finanzielle Zuschüsse für Maßnahmen zur Verbesserung des Wohnumfeldes
- Pflegekurse für pflegende Angehörige und ehrenamtliche Personen gemäß § 45
- Gewährung des Entlastungsbetrages gemäß § 45b in Höhe von 125,-€ (kann ambulant auch als Sachleistung = Grundpflege eingesetzt werden)
- Kein Anspruch auf Verhinderungs- oder Kurzzeitpflege
Was ändert sich in der ambulanten Pflege?
Der Leistungsbetrag für Bewohner ambulanter Wohngruppen erhöht sich auf 214 Euro im Monat.
Ergibt eine Prüfung durch den MDK, dass die Pflege in einer ambulant betreuten Wohngruppe, für neue Bewohner ab 2017, ohne teilstationäre Pflege nicht sicherzustellen ist, können diese Bewohner auch Leistungen der Tages- und Nachtpflege in Anspruch nehmen.
Kurzzeit- und Verhinderungspflege
Die Möglichkeiten Kurzzeitpflege und Verhinderungspflege in Anspruch zu nehmen, werden ausgeweitet und flexibler gestaltet. Kurzzeitpflege kann zukünftig acht – statt bisher sechs– Wochen pro Jahr in Anspruch genommen werden. Die Leistungsbeträge für Kurzzeit- und Verhinderungspflege können zudem aufeinander angerechnet werden – wenn Sie beispielsweise nicht den vollen Anspruch auf das eine aber mehr vom anderen benötigen.
Während einer Kurzzeitpflege wird die Hälfte des Pflegegeldes für bis zu acht Wochen gewährt. Während einer Verhinderungspflege wird die Hälfte des Pflegegeldes für bis zu sechs Wochen gewährt. Verhinderungspflege (1.612 Euro) kann aus dem Budget der Kurz-zeitpflege um bis zu 806 Euro (50 % des Anspruchs) auf 2.418 Euro aufgestockt werden. Kurzzeitpflege (1.612 Euro) kann aus dem Budget der Verhinderungspflege um bis zu 1.612 Euro (100% des Anspruchs) auf 3.224 Euro aufgestockt werden.
Zusätzliche Betreuungs- und Entlastungsleistungen
Die bisherigen erhöhten Leistungsbeträge für Personen mit einer eingeschränkten Alltagskompetenz (insbesondere Demenz) sind in den Leistungen für die neuen Pflegegrade berücksichtigt.
Der sogenannte Entlastungsbetrag für zusätzliche Betreuungs-leistungen in Höhe von bisher 104,00 Euro bzw. 208,00 Euro wird vereinheitlicht und beträgt ab 2017 pauschal 125,00 Euro. Sofern der Pflege-bedürftige, nach der Überleitung von Pflegestufen 2016 in Pflegegrade 2017, nicht mindestens insgesamt die gleichen Leistungen erhält, greift der Bestandsschutz: Die Pflegekasse zahlt dann die Differenz.
Dieser Entlastungsbetrag von 125,00 Euro kann für die Leistungen der Tages-, Kurzzeit- und Nachtpflege sowie die neuen Entlastungsleistungen verwendet werden.
Leistungsbeträge Tagespflege
Pflegeberatung
Zukünftig kann jeder, der Sachleistungen der Pflegeversicherung erhält oder Pflegegeld bezieht, einen Beratungsbesuch in der eigenen Wohnung in Anspruch nehmen.
Die Pflegebedürftigen/pflegenden Angehörigen haben Anspruch auf individuelle häusliche Schulungen und Pflegekurse (§ 45 SGB XI). In den Schulungen findet eine pflegepraktische Anleitung statt und es werden Kurse zu krankheitsspezifischen Themen angeboten. Die Pflegekassen sind verpflichtet, diese Schulungsangebote kostenlos anzubieten.
Bei Vorliegen einer Pflegebedürftigkeit besteht die Möglichkeit sich kostenlos durch die Pflegekasse beraten zu lassen.